Donnerstag, 12. April 2012

Poesie eines brachialen Künstlers

Damien Hirst hat keine Berührungsängste. Er kennt keine Tabus. Konventionen sind nicht sein Ding. Er tut, was er will, weil er es kann. Angefangen hat seine kometenhafte Karriere mit einem riesigen Glasbehälter, der einen in Formaldehyd schwimmenden, präparierten Haifisch mit aufgerissenem Maul enthält. Das Werk trägt den formidablen Titel: Die physische Unmöglichkeit des Todes im Verständnis eines Lebenden. Das ist sein Thema. Der Tod. Er hat ihn die letzten zwanzig Jahre lang in seinem Schaffen analysiert, verniedlicht,  belächelt, verschönert, geschunden, entblösst und zu ganz viel Geld gemacht. Seine Werke rufen Überraschung, Wohlbefinden oder Übelkeit hervor. Er schafft es, wie kein anderer Künstler seiner Generation, die ganze Palette der menschlichen Gefühle zu bedienen. 

Bild: Copyright by Damien Hirst
Damien Hirst hat Werke geschaffen, die ekelerregender nicht sein könnten. Er steckt den abgehäuteten Kopf einer Kuh in einen Glascontainer auf dem sich Tausende von lebenden Fliegen gütlich tun, bis sie schlussendlich selbst das Zeitliche segnen. Er nennt es „Die ersten tausend Jahre“. Keiner, weiss, was der Titel bedeuten soll. Der mutige Besucher starrt nur gebannt auf die Fliegen, die Kuh und den Fliegentöter darüber und wendet sich schlussendlich betroffen ab. Schön ist das nicht. Ebenfalls gewöhnungsbedürftig sind zersägte Schafe und Kühe, obwohl sie einen guten Einblick in die Anatomie der Tiere geben. Auch der abgeschnittene Kopf des letzten Einhorns ist wirklich fies. Klar ist, dass seine Ausstellungen nichts für schwache Nerven sind. Hirst macht einmal mehr klar, dass zeitgenössische Kunst nicht dekorativ zu sein hat, sonst wird sie von Experten, die etwas auf sich halten, in der Luft zerrissen. In der Kunst ist „schön“ out und „abscheulich“ hipp.

Bild: Copyright by Damien Hirst
Und doch werden die, die sich in eine Ausstellung von Damien Hirst wagen, mit unerwarteten Lichtblicken belohnt.  Dieser Künstler legt überraschend poetische Bilder vor, die das Licht am Ende des Tunnels erahnen lassen. Hirst hat verstanden, dass jedes Ende auch ein Anfang ist. Vergänglichkeit legt den Grundstein für den Neuanfang. Wie Kompost oder Phönix aus der Asche. Man könnte Hirst‘s Schaffen ketzerisch auch als Ode an das Leben verstehen, denn inmitten des ganzen provokativen Elends finden sich stets wieder Hoffnungsschimmer in Form von liebreizenden Momentaufnahmen. Da ist das Exponat der fragilen, weissen Taube im Anflug. Der diamantenbestückte Totenschädel, der durch seine Pracht und seinen Glanz jeden Gedanken an den Tod niederschmettert. Oder das Schmetterlingszimmer, in dem beständig Schmetterlinge schlüpfen und sich anschmiegsam zu den Besuchern gesellen. Dort herrscht das pure Leben. Die Schmetterlings-Serie ist die zärtlichste und flatterhafteste seines Schaffens. Und doch kann er sich auch hier die boshafte Anspielung auf die Endlichkeit nicht verkneifen: Seine Mandalas bestehen aus echten Schmetterlingsflügeln.

Bild: Copyright by Damien Hirst
Damien Hirst Retrospektive
Tate Modern, London
4. April – 9. September 2012
www.tate.org.uk

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