Donnerstag, 17. Mai 2012

Patina - Der vorbildliche Makel


Meine Grossmutter kochte am liebsten mit Bratpfannen, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte. Sie wurden niemals abgewaschen, sondern lediglich mit einem Tuch ausgewischt. Das war ganz wichtig und wir wurden schon als Kinder dahingehend instruiert. Diese Pfannen waren innen und aussen fast schwarz. Sie hatten Patina. Natürlich werden die Hygienefanatiker jetzt die Hände in die Höhe werfen und sich vor Ekel schütteln, aber was soll ich sagen: Sie wissen halt nicht, was ihnen entgeht. Ich koche noch heute mit einem Bräter, den ich von meiner Grossmutter übernommen habe und an dem aussen Saucenreste der letzten sechzig Jahre eingebrannt sind. Dem Boeuf Bourguignon, das ich darin zubereite, ist das egal, und denen, die es essen, ebenfalls. Der Geschmack zählt und der ist fantastisch. Der Look ist für einmal Nebensache.
 
Source: www.thefleastyle.com

Nicht so bei Möbeln. Dort ist Patina auch von aussen wünschenswert. Stücke, die abgeliebt, aufgeplatzt oder rostbefleckt sind, wirken authentisch, familiär und passen mit ihrem Charme in jedes Heim. Ausserdem sind sie im Umgang sehr pflegeleicht und können gut mit Kindern. Man kann sie ohne schlechtes Gewissen abschmirgeln, anmalen, absägen oder sie ganz einfach so lassen wie sie sind – ramponiert aber herzlich. 

Source: www.thefleastyle.com

Im Gegensatz zu leicht verschlissenem Mobiliar sind richtige Antiquitäten eine heikle Angelegenheit, weil sie so Ehrfurcht einflössend und poliert sind. Meistens haben sie einen beachtlichen monetären Wert, was bedeutet, dass es nicht opportun wäre, das dunkle Mahagoni einfach weiss zu streichen. Obwohl ich so was natürlich ohne mit der Wimper zu zucken tun würde. Man kann nichts mitnehmen, meine Damen und Herren, schon gar keine Louis XV Kommode, ausser man lässt sich darin begraben. Immerhin wäre das ein ganz schön fulminanter Abgang. Chapeau, wer sich das traut!

Source: www.thefleastyle.com

Jedenfalls erspart man sich viel Ärger mit der Nachkommenschaft, wenn man sich auf wenige echte Antiquitäten beschränkt und dafür umso mehr liebenswerten alten Kram anschafft, der den Look auflockert und erst noch kostengünstig ist. Patina muss her. Sie bringt Behaglichkeit. Unvollkommen, wie sie nun mal ist, hat sie doch das pure Leben in sich. Die Ehrlichkeit eines Möbels mit Erfahrung ist es, was den Unterschied macht. Altersflecken auf einem Bild, abgewetzte Stellen auf einem Sofa, abgesplitterte Farbe an einem Schrank, ein abgebrochener Finger an einer Statue, angerostete Gartenstühle. Hinter all diesen scheinbaren Verunstaltungen, Fehlern und Unvollkommenheiten stecken Geschichten, die von Schusseligkeit, Vergnügen und Geselligkeit erzählen.

Source: www.thefleastyle.com
Eine Einrichtung ist wie eine grosse Familie. Damit sie einem Geborgenheit geben kann, muss im Idealfall alles mit dabei sein: Der liebenswerte Grossvater in Form eines uralten, weisen Lehnstuhls. Die Mütterlichkeit einer in Würde gealterten Anrichte, die mit etwas Farbe gekonnt und glamourös im Rampenlicht steht. Die Jugendlichkeit einer brandneuen, unbeschwerten Designerlampe und natürlich die Exaltiertheit eines Empire-Tischchens mit goldenen Klauenfüssen. Harmonie entsteht dort, wo die Unterschiede zu einem aufregenden Ganzen zusammen wachsen.

Perfektion ist eine endlose Aneinanderreihung von blassen Makellosigkeiten. Patina jedoch erweckt die Vollkommenheit erst zum Leben. 


Source: www.thefleastyle.com


Last night as I lay
Sleeping I dreamt
O’marvelous error,
that there was a
beehive here inside
my heart and the
golden bees were
making sweet honey
from all my failures.

Machado de Assis

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