Sonntag, 20. Januar 2013

Mein Nachttisch, das unbekannte Wesen



Das Tischchen, das üblicherweise neben dem Bett steht und komischerweise als Nachttisch bezeichnet wird, obwohl es auch tagsüber nicht von der Bildfläche verschwindet, ist ein viel vernachlässigtes Möbelstück. Es ist verdammt dazu, als mitternächtliche Notfall-Aufbewahrung zu fungieren, damit jede Eventualität ausgeschlossen werden kann, die einen mitten in der Dunkelheit aus dem Bett treiben könnte.

Source: http://www.bellemaison23.com/

In den Schubladen werden Gegenständen aufbewahrt, die man im Tageslicht lieber nicht zu sehen bekommt. Da tummeln sich Nasensprays neben farbigen Verhüterlis und  alte Filzstifte neben Pfeffersprays. Schmerztabletten teilen sich mit angeknabberter Schokolade den Platz und Haarbürsten mit abgelesenen Taschenbüchern. Auf den Abstellflächen türmen sich Taschentücher, Magazine, Bücher und unanschaulich Wecker mit giftgrünen Digitalanzeigen. Verschiedene Wasserflaschen stehlen sich gegenseitig die Show und jeden Abend kommt eine neue dazu. Nachttischchen scheinen ohne Rücksicht auf Verluste alles über sich ergehen lassen zu müssen und fallen in Sachen Ästhetik immer durch die Maschen.

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Die Ansicht, dass dieses arg gebeutelte Nachttischchen nie alleine sein darf, ist unverständlicherweise ebenfalls weit verbreitet. Als ob eine Entwürdigung  nicht genug wäre, wird sie noch verdoppelt, damit auf beiden Seiten des Bettes der stilistische Ausnahmezustand ganz und gar synchron wüten kann. Dabei wird erwartet, dass diese bedauernswerten Kramunterlagen eineiige Zwillinge sein müssen. Möbeldesigner, die zu viel Raumschiff Enterprise Episoden gesehen haben, entwickelten eine Zeit lang sogar futuristisch wirkende Betten, die Kommandozentralen ähnelten und aus denen beidseitig je ein Anhängsel wuchs, auf denen die nächtlichen Accessoires Platz fanden. Mr. Spock hätte sich zweifellos gefreut in einem solchen Nachtlager zu ruhen. Menschen ohne spitze Ohren sollten um jeden Preis die Finger davon lassen.

Source: http://www.housetohome.co.uk

Ein Nachttisch ist ein sinnliches Wesen. Es gefällt ihm, wenn es mit Respekt behandelt und mit schönen Dingen bestückt wird. Es ist gerne individuell unterwegs, braucht also kein gleichaussehendes Gegenstück, versteht sich aber gut mit abweichenden Tischchen der gleichen Gattung auf der anderen Seite des Bettzeugs. Es ist begeistert, wenn es von warmem Licht beschienen und mit einem Weckinstrument ausgestattet wird, das optisch ansprechend und akustisch unerschrocken ist. Es liest bevorzugt hochstehende Literatur, freut sich über täglich frisches Wasser in schönen Gläsern und schaut sich gerne Fotos von lieben Menschen an. Wenn es Schubladen aufweist, dann ist es ein Tischchen mit einem Sinn für Diskretion. Über Peinliches, Unattraktives und Erschreckendes wird nicht gesprochen, Liebliches, Aufregendes oder Poetisches hingegen immer ins beste Licht gerückt.  Ein guter Nachttisch kann sich auch bei Tageslicht stets sehen lassen.

Source: http://karenhaller.co.uk

Übrigens muss es nicht immer ein Tisch sein. Auch ein extravaganter Stuhl, eine antike Truhe oder eine schöne Kommode sind feinfühlige Begleiter durch die Nacht und standhafte Gefährten während des Tages. Bei einem Nachttisch verhält es sich wie im richtigen Leben: Wenn er der Richtige ist, dann hält er auch am Tag, was er in der Nacht verspricht.

Source: www.scoop.it
Source: http://hilarymcolyer.blogspot.ch
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Sonntag, 13. Januar 2013

Spiegelverkehrt



Was früher ein sinnlicher Akt der Selbstverschönerung, ja der eigenen Lustbarkeit war, das ist heute zu einem blossen Auftragen von Make-up oder dem ordinären Verbergen von Hautunreinheiten verkommen. Die Rede ist vom Schminktischchen, welches in den gloriosen, guten alten Zeiten der beste Freund jeder Madame, sämtlicher Ladies und ach so vieler Fräuleins war. Vor diesen Spiegeln wurden unzählige Locken eingedreht, Lippenstift aufgetragen, Parfüm versprüht, Schmuck anprobiert. Auf einem Stuhl sitzend wurde dabei über den bevorstehenden Tag nachgedacht oder die rauschende Ballnacht noch einmal durchlebt. Dort wurden Fotos vom Liebsten aufbewahrt, aber auch das Amulett der Grossmutter oder kostbare Duftwässerchen. Es war ein Ort der Kontemplation, der Hoffnung und der Selbstreflexion. 

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Heute stehen wir morgens gehetzt in einem futuristisch anmutenden Badezimmer. Der rahmenlose Spiegel ist auch ein Schrank und das unbarmherzige Neonlicht wächst nahtlos aus dem Schrankspiegel heraus. Hier stirbt die Hoffnung mit einem einzigen Druck auf den Lichtschalter. Die besonders Masochistischen haben sich einen giftigen runden Vergrösserungsspiegel zugelegt, damit auch der kleinste Pickel noch sichtbar gemacht wird. Sie zelebrieren das Finden des kleinsten Makels, indem sie jeden Zentimeter ihres Gesichts mit den Fingern betatschen, nur um gefundene Stellen des Anstosses dann hilf- und erfolglos mit unpassender Schminke zu kaschieren. 

Source: http://owldesignandcustom.blogspot.ch

Die Utensilien, die benötigt werden, den Menschen in eine Dame zu verwandeln, werden möglichst unter Verschluss gehalten. Bei Alice im Wunderland war hinter dem Spiegel wenigstens noch ein Abenteuer zu erwarten. Hinter den heutigen Spiegeln stehen höchstens teure Antifalten-Cremes und die Parfümsammlung von Douglas. Im Giftschrank, der sich übergangslos unter dem Lavabo anschliesst, werden die unschönen Hilfsmittel verborgen: Pickel-Tonics, Hämorrhoiden-Cremes, Haarentfernungsschaum oder Fusspuder. Die Dinge halt, über die man nicht spricht, aber trotzdem hat.

Source: http://travelchatter.dailymail.co.uk

Natürlich hat man in früheren Zeiten auch kein peinliches Zubehör offen herum liegen lassen, aber immerhin gab es dafür ästhetische Schränkchen, die vielleicht noch mit einem zierlichen Schlüsselchen abgeschlossen wurden. So konnte die geheimnisvolle Mademoiselle sicher sein, dass niemand je an ihrer äusseren Perfektion zweifeln würde. Dann kamen findige Designer, die den Badewannen die Füsse abschnitten, den Spiegeln die Rahmen stahlen und die Waschbecken einsperrten. Die Individualität jedes einzelnen Stückes ging verloren, um im stufenlosen Einbau-Einerlei zu versinken. Zusammen mit der Einbauküche, sind die heutigen Badezimmer puritanisches, leidenschaftsfeindliches Elendsgebiet.

Source: http://finishingtouchinteriors.blogspot.ch

Wir müssen die Lust am eigenen Spiegelbild wieder zurück erobern! Das Sich-Schön-Machen ist ein Ritual, das es verdient in einer Umgebung stattzufinden, die uns beglückt, besänftigt oder erfrischt. Wir sollten den Spiegeln wieder Rahmen geben, denn nichts anders hat ein vollendetes Gemälde nach dem letzten Pinselstrich verdient.

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Mittwoch, 2. Januar 2013

Die Sanftheit des Lichts



„Und in der Nacht, wenn uns ein Grau‘n befällt, wie leicht, dass man da den Busch für einen Bären hält!“ Theseus sagt dies zu Hippolyta in Shakespeares Sommernachtstraum und spricht weniger von mangelndem Licht als von der Verblendung der Verliebten. Doch was zu Shakepeares Zeit nächtens fehlte, von dem haben wir heute so viel, dass sogar der Mann im Mond die Erde in der ewigen Nacht nicht verfehlen dürfte, würde er uns besuchen wollen, denn auf der Erde brennt immer ein Licht. Die elektrische Beleuchtung ist eine grosse Errungenschaft, die wir nie mehr missen möchten, obwohl Helligkeit mitunter gnadenlos und brutal sein kann und sie die Zwielichtigkeit mancher Personen auch in ihrer gleissendsten Form nicht weg zu leuchten vermag. Und doch ermöglicht uns diese künstliche Helle ein Leben, in dem die Nacht nur noch eine marginale Rolle spielt, weil wir sie je nach Bedarf einfach zum Tag machen können. Alles was es dazu braucht ist eine leistungsstarke Glühbirne in einer Strassenlaterne und – voilà - schon werden aus Bären, die im Dunkeln lauern, harmlose Büsche, die im Winde wogen. 

Source: http://besthomedecorators.com

Der Lichtverschmutzung im eigenen Heim haben wir uns bereits früher gewidmet. Sie ist die dunkle resp. die missverstandene und blendende Seite des Lichts. Was angebracht ist, um ein Buch zu lesen, eine Zwiebel unfallfrei zu schneiden oder einen verlorenen Ohrring wieder zu finden, das ist unnötig, wenn es darum geht, Behaglichkeit zu erzeugen. Dafür sind gedimmte Glühbirnen besser geeignet. Noch besser sind Kerzen. Sie erinnern uns an die gute alte Zeit, in der die reichen Leute unter riesigen, Kerzen beflammten Kronleuchtern ins neue Jahr tanzten oder Liebende sich im zarten Kerzenschein vernaschten. Heute haben wir das Glück, dass wir freiwillig den Lichtschalter ausmachen und uns dem sanften Halbdunkel des Kerzenlichts hingeben können. Kerzen sind Seelentröster. Sie begleiten uns auf Reisen in zärtliche, leichte Welten der Dämmerung - und zwar auf ganz legale Weise.


Source: http://weheartit.com

Eine Dinner-Party, bei der die ganze Wohnung nur mit Kerzen erleuchtet ist, bleibt jedem Gast noch lange in Erinnerung. Dieses Licht ist anmutig. Es ist alles verzeihend und lässt die Gäste zehn Jahre jünger und zehn Kilo leichter aussehen. Ausserdem fällt niemandem auf, wenn man Tomatensuppe aufs Jacket gekleckert hat, dass der Kopfsalat schon etwas schlapp war und vor dem Anlass nicht Staub gesaugt wurde. Unbedingt muss diese Beleuchtung bis auf Gäste-Klo durchgezogen werden, wenn man nicht will, dass die Besucher sich ab dem eigenen Spiegelbild erschrecken, wenn sie das Licht anknipsen. Manche Männer tun dies übrigens trotz Kerzenbeleuchtung. Man weiss nicht wieso, aber es hängt wahrscheinlich mit vehementer Sitzhemmung und mangelnder Treffsicherheit zusammen. Die Schlauen wissen, dass man sich durch so eine unüberlegte Handlung jäh ins brutale, helle Leben zurück katapultiert. Darauf sollte man noch einen Augenblick lang verzichten. Einen solchen Abend muss man auskosten, bis das letzte Stück Schokolade auf der Zunge zergangen ist, die Konversation langsam verglüht und die Kerzen sich dem Ende entgegen neigen. Erst dann tritt man in die Nacht hinaus. Löst sich von dem Zauber und erkennt Büsche in der Dunkelheit, aber glaubt dennoch, dass es Bären sind.




Source: http://homeklondike.com

Shakespeare sprach von der Verblendung der Verliebtheit. Ein beneidenswerter Zustand. Flüchtig und vorübergehend. Und so ist auch der Kerzenschein eine Liebelei mit der Dunkelheit, ein Spiel mit den Schatten und gleichzeitig eine Liebkosung des Lichts. Beides erlischt mit der Zeit, doch nur die Kerze ist ersetzbar. Lasst sie uns geniessen! Immer und immer wieder.

Source: http://mysweetsavannah.blogspot.ch


Source: http://www.homestylingblog.com
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