Was früher ein sinnlicher
Akt der Selbstverschönerung, ja der eigenen Lustbarkeit war, das ist heute zu
einem blossen Auftragen von Make-up oder dem ordinären Verbergen von
Hautunreinheiten verkommen. Die Rede ist vom Schminktischchen, welches in den
gloriosen, guten alten Zeiten der beste Freund jeder Madame, sämtlicher Ladies
und ach so vieler Fräuleins war. Vor diesen Spiegeln wurden unzählige Locken
eingedreht, Lippenstift aufgetragen, Parfüm versprüht, Schmuck anprobiert. Auf
einem Stuhl sitzend wurde dabei über den bevorstehenden Tag nachgedacht oder
die rauschende Ballnacht noch einmal durchlebt. Dort wurden Fotos vom Liebsten
aufbewahrt, aber auch das Amulett der Grossmutter oder kostbare Duftwässerchen.
Es war ein Ort der Kontemplation, der Hoffnung und der Selbstreflexion.
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Heute stehen wir morgens
gehetzt in einem futuristisch anmutenden Badezimmer. Der rahmenlose Spiegel ist
auch ein Schrank und das unbarmherzige Neonlicht wächst nahtlos aus dem
Schrankspiegel heraus. Hier stirbt die Hoffnung mit einem einzigen Druck auf
den Lichtschalter. Die besonders Masochistischen haben sich einen giftigen
runden Vergrösserungsspiegel zugelegt, damit auch der kleinste Pickel noch
sichtbar gemacht wird. Sie zelebrieren das Finden des kleinsten Makels, indem
sie jeden Zentimeter ihres Gesichts mit den Fingern betatschen, nur um
gefundene Stellen des Anstosses dann hilf- und erfolglos mit unpassender
Schminke zu kaschieren.
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Die Utensilien, die benötigt
werden, den Menschen in eine Dame zu verwandeln, werden möglichst unter
Verschluss gehalten. Bei Alice im Wunderland war hinter dem Spiegel wenigstens
noch ein Abenteuer zu erwarten. Hinter den heutigen Spiegeln stehen höchstens
teure Antifalten-Cremes und die Parfümsammlung von Douglas. Im Giftschrank, der
sich übergangslos unter dem Lavabo anschliesst, werden die unschönen Hilfsmittel
verborgen: Pickel-Tonics, Hämorrhoiden-Cremes, Haarentfernungsschaum oder
Fusspuder. Die Dinge halt, über die man nicht spricht, aber trotzdem hat.
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Natürlich hat man in
früheren Zeiten auch kein peinliches Zubehör offen herum liegen lassen, aber
immerhin gab es dafür ästhetische Schränkchen, die vielleicht noch mit einem
zierlichen Schlüsselchen abgeschlossen wurden. So konnte die geheimnisvolle Mademoiselle
sicher sein, dass niemand je an ihrer äusseren Perfektion zweifeln würde. Dann
kamen findige Designer, die den Badewannen die Füsse abschnitten, den Spiegeln
die Rahmen stahlen und die Waschbecken einsperrten. Die Individualität jedes
einzelnen Stückes ging verloren, um im stufenlosen Einbau-Einerlei zu
versinken. Zusammen mit der Einbauküche, sind die heutigen Badezimmer
puritanisches, leidenschaftsfeindliches Elendsgebiet.
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Wir müssen die Lust am
eigenen Spiegelbild wieder zurück erobern! Das Sich-Schön-Machen ist ein
Ritual, das es verdient in einer Umgebung stattzufinden, die uns beglückt,
besänftigt oder erfrischt. Wir sollten den Spiegeln wieder Rahmen geben, denn
nichts anders hat ein vollendetes Gemälde nach dem letzten Pinselstrich
verdient.
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