Sonntag, 13. Januar 2013

Spiegelverkehrt



Was früher ein sinnlicher Akt der Selbstverschönerung, ja der eigenen Lustbarkeit war, das ist heute zu einem blossen Auftragen von Make-up oder dem ordinären Verbergen von Hautunreinheiten verkommen. Die Rede ist vom Schminktischchen, welches in den gloriosen, guten alten Zeiten der beste Freund jeder Madame, sämtlicher Ladies und ach so vieler Fräuleins war. Vor diesen Spiegeln wurden unzählige Locken eingedreht, Lippenstift aufgetragen, Parfüm versprüht, Schmuck anprobiert. Auf einem Stuhl sitzend wurde dabei über den bevorstehenden Tag nachgedacht oder die rauschende Ballnacht noch einmal durchlebt. Dort wurden Fotos vom Liebsten aufbewahrt, aber auch das Amulett der Grossmutter oder kostbare Duftwässerchen. Es war ein Ort der Kontemplation, der Hoffnung und der Selbstreflexion. 

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Heute stehen wir morgens gehetzt in einem futuristisch anmutenden Badezimmer. Der rahmenlose Spiegel ist auch ein Schrank und das unbarmherzige Neonlicht wächst nahtlos aus dem Schrankspiegel heraus. Hier stirbt die Hoffnung mit einem einzigen Druck auf den Lichtschalter. Die besonders Masochistischen haben sich einen giftigen runden Vergrösserungsspiegel zugelegt, damit auch der kleinste Pickel noch sichtbar gemacht wird. Sie zelebrieren das Finden des kleinsten Makels, indem sie jeden Zentimeter ihres Gesichts mit den Fingern betatschen, nur um gefundene Stellen des Anstosses dann hilf- und erfolglos mit unpassender Schminke zu kaschieren. 

Source: http://owldesignandcustom.blogspot.ch

Die Utensilien, die benötigt werden, den Menschen in eine Dame zu verwandeln, werden möglichst unter Verschluss gehalten. Bei Alice im Wunderland war hinter dem Spiegel wenigstens noch ein Abenteuer zu erwarten. Hinter den heutigen Spiegeln stehen höchstens teure Antifalten-Cremes und die Parfümsammlung von Douglas. Im Giftschrank, der sich übergangslos unter dem Lavabo anschliesst, werden die unschönen Hilfsmittel verborgen: Pickel-Tonics, Hämorrhoiden-Cremes, Haarentfernungsschaum oder Fusspuder. Die Dinge halt, über die man nicht spricht, aber trotzdem hat.

Source: http://travelchatter.dailymail.co.uk

Natürlich hat man in früheren Zeiten auch kein peinliches Zubehör offen herum liegen lassen, aber immerhin gab es dafür ästhetische Schränkchen, die vielleicht noch mit einem zierlichen Schlüsselchen abgeschlossen wurden. So konnte die geheimnisvolle Mademoiselle sicher sein, dass niemand je an ihrer äusseren Perfektion zweifeln würde. Dann kamen findige Designer, die den Badewannen die Füsse abschnitten, den Spiegeln die Rahmen stahlen und die Waschbecken einsperrten. Die Individualität jedes einzelnen Stückes ging verloren, um im stufenlosen Einbau-Einerlei zu versinken. Zusammen mit der Einbauküche, sind die heutigen Badezimmer puritanisches, leidenschaftsfeindliches Elendsgebiet.

Source: http://finishingtouchinteriors.blogspot.ch

Wir müssen die Lust am eigenen Spiegelbild wieder zurück erobern! Das Sich-Schön-Machen ist ein Ritual, das es verdient in einer Umgebung stattzufinden, die uns beglückt, besänftigt oder erfrischt. Wir sollten den Spiegeln wieder Rahmen geben, denn nichts anders hat ein vollendetes Gemälde nach dem letzten Pinselstrich verdient.

Source: http://rosesandrustblogger.blogspot.ch
 

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